Reisebücher, Reiseliteratur, Ratgeber -
Estland, Lettland, Litauen

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11,0 cm breit
BUCHFORMAT
19,0 cm hoch
Christiane Bauerschmidt / Eva Gerberding: Merian Live! Baltische Metropolen. Travel House Media München 2006. 1. Auflage (die Co-Autorin Eva Gerberding war ebenfalls Co-Autorin des in den 90er Jahren mehrfach aufgelegten "DuMont Reiseführers Baltikum".) ISBN 3-8342-0077-8. 160 Seiten, 8.95 Euro (Abbildung: Layoutbeispiel)
1. Größte Stärken
Sicher ein Buch, dass Kurzurlauber so oder so ähnlich suchen - schön aufgemacht, und die gängisten Themen der bereisten Länder sollte es wiederspiegeln. Innerhalb eines kurzen Aufenthalts kommt mehr nicht in Frage - oder braucht man gar ein Buch, günstig ersteigert bei Ebay? Oder vom Nachbarn mal für eine Woche ausgeliehen? In allen diesen Fällen käme dieses Buch in Frage - eine Stärke ist also, dass es trotzdem den Verkaufserfolg nicht ausschließt.
2. Größte Schwächen
Wer jemals vorher schon etwas anderes über Estland, Lettland oder Litauen gelesen hat, und sich ein wenig mit diesen Ländern auskennt - der wird hier eher den guten Ruf der Autorinnen oder des Namens MERIAN bedroht sehen. Zu schnell geschneidert, einem vermeintlichen Trend hinterhergeschrieben? Einziger Trost: Wer hastig durch alle drei beschriebenen Städte jettet, der wird die beschriebenen Dinge eh kaum erinnern. ? ? ? 
3. Einleitung, Übersicht
Eine kurze Einleitung macht mit den größten Schablonen und bekannten Vorurteilen bekannt. Vielleicht ist der Text durch bequemes Pfücken von Textstellen aus anderen Quellen entstanden? Zwei große Missverständnisse stehen hier schon in der Einleitung. Der eine ist, dass es in Lettland "deutschen Adel" gegeben habe (zuviel der Ehre).  Der andere ist, ausgerechnet Mitsommer würde in den "belebten Altstädten" gefeiert. Da kann es sich ja wohl nur um Touristen handeln, die nicht wissen, wo Esten, Letten und Litauer selbst am liebsten Mitsommer feiern... (und wer an dieser Stelle nicht weiß, was gemeint ist, muss wohl andere Bücher lesen...) ? ?
4. Anreiseinfos
Anreisetipps machen nur je eine halbe Seite pro Stadt in diesem schmalen Büchlein aus. Nur gut, dass noch ein paar Internetseiten mit angegeben sind! O ?
5. Unterwegs
Tipps fürs Unterwegs-Sein im Reiseland gibt es so gut wie keine - beim Lesen entsteht der Eindruck, die Reisenden würden sich sowieso, vom Flughafen kommend, nur in Bars oder Restaurants der Innenstädte aufhalten. Einige wenige Einschätzungen sind dabei durchaus richtig: etwa diejenige, dass es weit mehr gute Bus- als Bahnverbindungen gibt. Um wirklich selbst unterwegs sein zu können, brauchen Reisende aber mehr. O ?
6. Übernachten – allgemeine Hinweise
Zwar ist eines der einleitenden Kapitel mit "Übernachten" überschrieben, aber mit einem schönen Farbfoto eines einzigen Hotels in Vilnius wirkt es ganz wir bezahlte Begünstigung. Die darauf folgenden allgemeinen Bemerkungen sind zwar größtenteils richtig - vor allem sind die genannten Internetseiten brauchbar. Hotelbeschreibungen finden sich zu jeder der drei Städte - aber auch hier sind in ähnlicher Weise ganz bestimmte Exklusiv-Herbergen bevorzugt. Wirklich preisgünstige Hotels finden erst gar keine nähere Berücksichtigung. Wohl eher für diejenigen geeignet, denen der aus Westeuropa gewohnte Komfort besserer Hotels als Information genügt. O
7. Essen & Trinken, allgemeine Hinweise
Das Kapitel "Essen und Trinken" enthält auf zwei Seiten durchaus Richtiges, aber leider auch hier von Missverständnissen bzw. mindestens von sehr persönlichen Einschätzungen durchsetzt - etwa derjeniger, dass "die russische Herrschaft und die Sowjetzeit für die Küche im Baltikum nicht folgenlos" geblieben seien. Ein gutes Beispiel für das ganze Buch: Grundlage ist auch Richtiges (hier zum Beispiel: Pelmeni). Es folgt aber eine pauschale Gleichsetzung: Warum soll die Verwendung von Dill, saurer Sahne oder grünen Gurken nur in Russland vorkommen, oder dort entstanden sein? Erklärungen = Fehlanzeige. - Anderes wiederum wird schlecht erklärt: was sollen "Imbissstuben in den Städten" sein? Mancher wird hier vielleicht an US-amerikanische Fastfoodketten denken. Oder: Wer sagt, dass in den baltischen Staaten nach der Wende nur dänisches oder deutsches Bier getrunken wurde? Bitte nicht von Touristen auf Einheimische schließen! Und bei den Alkoholika werden offensichtlich eher zufällig gefundene Fläschchen als "typisch" deklariert - so als ob die Autorinnen nie in den betreffenden Ländern gelebt hätten (haben sie das?). Offensichtlich haben sie zwar einiges gesammelt, können es aber selbst nicht einschätzen. So entstehen Sätze wie "Die Balten trinken gern viel Tee über den Tag verteilt, aber auch guten Kaffee...". Oder es ist plötzlich von "schwarzen Erbsen" (S.84) die Rede. Alles nach dem Motto aufgeschrieben: Irgendwo schon mal so gesehen? O ??
8. Praktische Tipps
"Praktische Tipps" konzentrieren sich in diesem Buch auf Konsumorientiertes: Einkaufstipps (zutreffend, zumindest was die typischen Souvenirs angeht). Darüber hinaus fast nichts, was über Verhaltenstipps in den Innenstädten hinausgeht. Aber auch hier finden sich Fehler, wie etwa die Behauptung, die Altstadt von Riga sei autofrei. (Schranken vor den Zufahrten gesehen, und schnell ein Buch geschrieben? Ärgerlich!) O
9. Geographie, Natur, Klima
Von einigen Ausflugstipps abgesehen, gibt es zu geografischen oder landschaftlichen Besonderheiten in diesem Buch nichts. Aber wer Kapitelüberschriften wie "nach Cesis in der Vidzeme" (steht so im Buch!) lesen muss, dem kommen wohl auch hier Zweifel. Und wer dann noch "Vidzeme, das alte Livland" (S.83) lesen muss, dem kommen wohl endgültig Orientierungsschwierigkeiten. (das heutige Vidzeme ist nicht mit dem Livland der Kreuzritterzeit identisch) O
10. Umwelt- und Naturschutz
Eigentlich müsste gesagt werden: auch diese Themen kommen in diesem Buch nicht vor. Aber schlimmer: an den wenigen Stellen, wo Natur und Umwelt erwähnt werden, werden neue Legenden gestrickt. Beispiel: Man nehme ein Foto von einer Stelle an der Ostsee im Laheemaa-Nationalpark, und behaupte die ganze Küste in diesem Schutzgebiet würde so aussehen. Nicht nur das: die estnische Umweltschutzbewegung würde dafür sorgen, dass dieser Nationalpark auch weiterhin "unberührt" bleibt. Was wirklich wichtige Umweltthemen in Estland sind - davon aber kein Wort. Wer hier zu Natur und Umwelt etwas findet und liest, dem sollten danach mehr Fragezeichen als vorher daraus entstehen. Na ja, schließlich sind die Hauptthemen des Buches ja auch nur die Innenstädte ... ? ?
11. Geschichte, Politik
Einzig der Erwähnung wert ist eine fehlerhafte und textlich stark verkürzt formulierte geschichtliche Übersichtstabelle. Selbst Schuld, wer hier die sehr ungenauen Formulierungen wörtlich nimmt. Sätze, vor denen man warnen sollte, sind wie diese: "Fast 700 Jahre zählten die Baltendeutschen zur Oberschicht der Stadt, doch Riga bot vielen Nationalitäten eine Heimat und wurde im 19 Jh. zur kosmopolitischen Metropole des Baltikums. Seine Bedeutung als Brückenkopf zwischen West und Ost blieb nicht auf das Mittelalter beschränkt. Mit dem Zweiten Weltkrieg marschierten deutsche Truppen in Riga ein." (vielleicht so schnell geschrieben, wie durch die Geschichte geeilt ...) Ein zweites Beispiel zum Thema lettische Freiheitsstatue: "Als das Monument 1935 endlich fertig war, war Lettland zwar noch eigenständig, aber ein Diktator hatte sich des Landes bemächtigt, und die Unabhängigkeit ging schon wieder ihrem Ende zu." (Ein Tipp: Fragen Sie mal Letten nach diesem angeblichen 'Diktator'. Zumindest die Wortwahl ist hier zweifelhaft, und so werden Sachverhalte verbogen und zurechtformuliert ...

Einzig die Bemerkungen zum "jüdischen Vilnius" sind einigermaßen korrekt - aber auch diese wenigen Zeilen fehlen bei der Beschreibung von Riga ganz. O ???

12. Wirtschaft
Zumindest haben die Autorinnen verstanden, dass sich unser Wirtschaftssystem auf Wachstum und Konsum aufbaut, und beschränken sich auf einzelne Sätze wie die folgenden: "Tallinn, Riga und Vilnius schließen mit rasendem Tempo andas moderne Westeuropa an. Das zeigt sich offenkundig im Warenangebot der neuen Kaufhäuser." Mehr ist hier auch zu diesem Thema nicht zu erwarten.
13. Bevölkerungsstruktur
Hier sind Pauschalierungen vorherrschend. Vilnius wird schlicht als "multi-ethnisch" mit "multikultureller Tradition" bezeichnet, in Riga werden Probleme der russischsprachigen Bevölkerung gerade mal mit einem Satz erwähnt, und zu Tallinn gibt es sowieso nur eine halbe Seite Einleitung. ?
14. Religion, Kirche
Natürlich finden sich Beschreibungen von sehenswerten Kirchen in diesem Buch, und auch die Bemerkung, diese seien zu Sowjetzeiten vielfach zweckentfremdet gewesen, fehlt nicht. Aus touristischer Sicht gibt es also Minimalinfos, Schilderungen aus dem Alltag oder Beschreibungen von gesellschaftlich wichtigen Themen jedoch keine. O
15. Sprache

16. Sprachhilfe, Vokabelliste

Zumindest in diesem Bereich ist die Konzeption des Buches nachvollziehbar: ein Sprachführer wird hier zum "Eßdolmetscher". Vielleicht soll der allgemeinen Furcht von Reisenden vorgebeugt werden, in den sowieso überwiegend auf Touristen eingestellten Restaurants der Innenstädte gäbe es keine englischen oder deutschen Speisekarten? Allerdings werden die Leser/innen völlig ohne Aussprachehinweise mit diesem skurilen Dingen allein gelassen.

Ansonsten findet sich an anderer Stelle nur der Hinweis, dass man zumindest mit Englisch gut weiterkommt. Na also! O

17. Kultur, Kunst, Musik, Literatur, Theater
Freizeittipps zu den drei behandelten Städten gibt es in diesem Buch tatsächlich. Sehenswürdigkeiten der drei Altstädte finden sich stichwortartig beschrieben und mit weitgehend zutreffenden Informationen versehen. Aktuell recherchiert ist allenfalls der Restaurant-Teil (auch das kann Kultur sein). Ansonsten eher die bekannten Schablonen wie Jugendstil in Riga, Künstlerviertel Užupis, oder Freilichtmuseum Tallinn. Auch einige Museen werden beschrieben, vereinzelte Konzerttipps und Hinweise auf Festivals finden sich im Text. Thematisch detailliertere Beiträge, die mehr auf die landestypischen Eigenheiten und Traditionen in Musik, Theater oder Kunst eingehen würden, gibt es nicht. Die Literaturtipps sind mehr als dürftig. O
18. Karten
Die Karten im Einband des Buches lassen einen ersten Überblick zu - zur Orientierung vor Ort taugen sie nur notfalls (Orientierung im Lande selbst ist ja auch nicht Thema des Buches).

Die Innenstadtkarten sind aber brauchbar, und sogar mit kurzen Straßenverzeichnissen versehen. O O O

19. Ortsbeschreibungen Hauptstädte
Die drei Hauptstädte sind das Hauptthema des Buches - vielleicht reicht es ja auch, hinzufliegen, sich in das nächste Cafe zu setzen, das Buch zur Hand nehmen und verstehen, wo man hier eigentlich gelandet ist. Für ein, zwei Tage Kurzaufenthalt wird es den Leser/innen vielleicht reichen - aber über eine relativ oberflächliche Darstellung von Sehenswertem hinaus wird hier nichts geboten. Wie bereits erwähnt: es gibt ausreichend Tipps zum Souvenirkaufen, preiswert ins Konzert gehen, und ein schickes Restaurant oder eine Bar finden. Und wer den Rundgang mit der Stadtführerin verpasst, der kann sich hier auch für ein paar Stunden selbst ein paar Sehenswürdigkeiten anlesen. O
20. Ortsbeschreibungen ländliche Regionen
Eigentlich sind zu diesem Bereich keine Aussagen zu treffen, da ja nur die Hauptstädte Thema sind. Immerhin kommen neben Vilnius auch noch Trakai, neben Riga auch Jurmala, und neben Tallinn noch Aegna, eine kleine Insel in der Bucht von Tallinn, vor. Eher wie ein ungeliebtes Anhängsel wirken die drei "Tourentipps" im hinteren Buchteil (Kurische Nehrung, Nationalparke Gauja und Lahemaaa). Die hier versammelten Aufzeichnungen wirken aber eher etwas hilflos. Beispiele: "Von Sigulda verläuft die Straße streckenweise an der malerischen Gauja entlang." Oder: "Von Viitna aus gibt es täglich einen Bus zum 7km entfernten Palmse, Abfahrt 12.50 Uhr." Die Anreise zur Kurischen Nehrung beschreiben die Autorinnen sicherheitshalber nur von Vilnius aus ("es werden Busfahrten angeboten"). Wer wirklich Ausflüge plant: lieber andere Bücher lesen! Sogar spontan vor Ort läßt sich mehr an Infos finden! ?
21. Fotos
Fotos werden reichlich geboten, durchweg farbig und in guter Druckqualität. Verhältnismäßig viele Abbildungen stellen Inneneinrichtungen von Bars und Restaurants dar - entsprechend dem Inhalt, aber zumindest das ist nützlich. Der Rest sind Sehenswürdigkeiten oder architektonische Details - vom Alltagsleben der Einheimischen findet sich nichts. O O
22. Begrifflichkeiten, Fragezeichen, Fehlinfos
Es finden sich eine ganze Reihe von begrifflichen Unsicherheiten, wie es eben beim schnellen Durcheinanderwürfeln von drei verschiedenen Städten und Ländern nicht ausbleibt.

Auch diese Redaktion freut sich, wenn sie Berichtigungen direkt per Email erhält (Seite 159). Wir würden gerne schreiben: Bitte NEU SCHREIBEN - Lektüre ist teilweise stark irreführend!

23. Gesamteinschätzung
16 Pluspunkte, 16 Fragezeichen, insgesamt leider nur 16 Punkte
24. Zusammenfassung
Solch ein dünnes, schnell und fehlerhaft produziertes Werk ist sicher auf den Billigflugtouristen gezielt. Einzig mögliches Kaufargument: etwas Preiswerteres gibt es - bezogen auf Seitenzahl und Fotos - nicht. Aber nicht jeder vorhandene Markt berechtigt zu nachlässigem Inhalt. Nachdem jahrelang Unwissen und fehlende Professionalistät die Reisebuchszene der "Baltikum"-Autor/innen beherrschte, bleibt nur zu hoffen, dass dieser Trend nicht allzu viele Nachahmer findet. Die Einwohner Tallinns, Rigas und von Vilnius haben nämlich schon jetzt fast genug von den saufenden Vergnügungssüchtigen, die nur Casinos, Prostitution und Table-Dance suchen. Davon steht in diesem Buch zwar nichts - aber wer nichts anderes bietet, ist auch nicht weit weg davon. Schade, dass mit Eva Gerberding eine der Autorinnen früher auch schon mal besser Bücher zum gleichen Zielgebiet geschrieben hat!

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